EbayDie Plagiate-Drehscheibe

Die Internet-Auktionsplattform Ebay ist zu einem der Hauptumschlagsplätze für gefälschte Waren geworden. Wie leicht man solchen Angeboten auf den Leim gehen kann, erlebte eine 38-jährige Käuferin am eigenen Leib.

Von Kerstin Schneider

Es war einfach zu verlockend. Der edle Kaschmir-Balzer von Windsor, secondhand, aber in gutem Zustand, 71 Euro - bei Ebay. Das elegante Jil-Sander-Kleid, neu, vorvorletzte Saison, 110 Euro - bei Ebay. Der Pulli von Prada, "neu mit Etikett" aus einem "Outlett". Nur 95 Euro - bei Ebay. Schnäppchen, die selbst dem fachkundigen Blick der Edelboutique-Verkäuferin standhielten. "Echt", nickte sie anerkennend. "Glückwunsch."

75 Auktionen hatte Doris Schmidt* aus Bremen beim Internet-Auktionshaus Ebay schon gewonnen. Die 38-jährige Verlagskauffrau - bis dahin überzeugte Stammkundin des Billigschneiders H&M - schickte sich an, ein echtes "Victim of Fashion" zu werden. Das worldwideweb füllte ihren Kleiderschrank mit edlen Designerklamotten. Von Ebay. Zu H&M-Preisen.

stern 23/2006

Lesen Sie dazu im neuen stern: Die Markenpiraten - So funktioniert das Geschäft der Fälscher. Wie Sie echte Produkte erkennen

Dann passierte es. Das Angebot war einfach zu verlockend. "Calvin Klein Jeans. Schwarz. Made in USA. Unbedingt ansehen." Anfangsgebot 6,69 Euro. Das kann doch kein Original sein, dachte Doris Schmidt. Der Ladenpreis einer echten Calvin Klein liegt bei 100 Euro. Die Bremerin sah sich die Seite des Jeans-Verkäufers genauer an. "Lassen Sie sich von unseren exklusiven Waren überzeugen", las sie die Werbung des Anbieters, der erst seit wenigen Monaten bei Ebay registriert war, aber schon weit über 500 positive Bewertungen von zufriedenen Kunden vorweisen konnte. "Einfach super! 1a Ware, wie immer", stand da. Oder: "Alles bestens, sehr zu empfehlen". Doris Schmidt schlug zu. Sie war die einzige Bieterin, überwies nach der Auktion flugs 10,80 Euro inklusive Versandkosten.

Hauptumschlagplatz für gefälschte Ware

Die "Calvin Klein Jeans" wurde prompt geliefert. Eine plumpe Fälschung, zu erkennen auf den ersten Blick. Das Schild am Hosenbund war aus Plastik, die Schrift verlaufen. Auf den Nieten stand zwar der Name des Designers. Doch hier und da fehlte ein Buchstabe. Das Knopfloch der "Topware" war ausgefranst, die Nähte schlecht verarbeitet. Das Urteil der Verkäuferin im Calvin-Klein-Jeans-Shop war kurz und vernichtend. "Oh Gott, krass."

Geschichten wie diese hört Lennart Röhr oft. "Ebay ist einer der Hauptumschlagplätze für gefälschte Ware", sagt der Anwalt und Sprecher des Aktionskreises Deutsche Wirtschaft gegen Produkt- und Markenpiraterie. Ein Blick in die Zeitungen, scheint den Eindruck des Juristen zu bestätigen. Immer häufiger sorgt das Internet-Auktionshaus für negative Schlagzeilen: Vor wenigen Wochen hat die Staatsanwaltschaft Koblenz Anklage gegen drei Männer erhoben. Sie sollen ein gefälschtes Picasso-Gemälde als "eigenhändiges Werk" des Meisters bei Ebay angeboten haben. 160.000 Euro erbeutete ein Berliner, der bei Ebay gefälschte Karten für Konzerte von "Bon Jovi" und "Depeche Mode" versteigerte. Im vergangenen Jahr ging der Magdeburger Polizei eine professionelle Betrügerbande ins Netz. Nach den Ermittlungen der Kripo verscheuerten die Fälscher bei Ebay gefakte Joop-Artikel im Wert von 2,3 Millionen Euro.

Negative Bewertung gegen negative Bewertung

"Fälschung!", protestierte Doris Schmidt in ihrer Bewertung gegen den Jeans-Verkäufer. Nach jedem Ebay-Deal bewerten sich Käufer und Verkäufer gegenseitig. Eine positive Bewertung bringt einen Pluspunkt. Bei einer negativen Beurteilung wird der Kunde mit einem Minuspunkt bestraft. Mit diesem Bewertungssystem will Ebay unseriöse Kunden outen. Dass das nicht immer funktioniert, musste Doris Schmidt feststellen. Kaum hatte sie ihre negative Bewertung für den Jeans-Verkäufer abgeschickt, rächte sich der Betrüger seinerseits mit einer Negativbeurteilung. Nun hatte Doris Schmidt nicht nur eine gefälschte Calvin Klein Jeans im Schrank, sondern auch noch einen Minuspunkt in ihrem bis dahin tadellosen Bewertungsprofil.

Erbost über die Tücken des Systems, wandte sich die Bremerin an Ebay. Die Sicherheitsleute des Internet-Auktionshauses schrieben ihr schnell und etwas nachlässig im Satzbau: "Unser Sicherheitsteam daraufhin hat die Aktivitäten des Mitglieds überprüft und tatsächlich einen Verstoß festgestellt... Auch uns unseriöse Mitglieder ebenfalls mehr als ein Dorn im Auge sind". Immerhin, dachte Doris Schmidt. Die Ernüchterung folgte mit dem nächsten Satz: "Was wir konkret gegen einzelne Mitglieder unternehmen, dürfen wir Ihnen aus datenschutzrechtlichen Gründen nicht mitteilen." Die negative Bewertung könne nicht entfernt werden. "Bitte beachten Sie, dass unsere Entscheidung diesbezüglich endgültig ist." Doris Schmidt war empört. "Diese email ist doch ein fake", schimpfte sie. "Außer ein paar hingeschmierten Sätzen unternimmt Ebay gar nichts."

"Wir sind kein Gericht"

Dass dem Internet-Auktionator in solchen Fällen tatsächlich oft die Hände gebunden sind, räumt Sprecherin Maike Fuest ein. "Wir sind kein Gericht", sagt sie. "Häufig steht Aussage gegen Aussage. Und wir wissen nicht, wer recht hat." Sie rät betrogenen Kunden deshalb, Strafanzeige bei der Polizei zu erstatten. "Wenn die Polizei sich bei uns meldet, arbeiten wir mit den Beamten zusammen, um den Fall zu klären." Denn nur wenn Ebay genügend Beweise dafür habe, dass ein Anbieter gefälschte Ware verkaufe, könne er vom Markt ausgeschlossen werden. "Vorher haben wir schlicht keine Rechtsgrundlage", sagt Fuest.

Den Vorwurf, dass Ebay nichts gegen Fälscher unternehme, weist die Sprecherin zurück. Inhaber gewerblicher Schutzrechte, also beispielsweise die Firma Calvin Klein, könnten mit dem "VeRI-Programm" Fälscher "schnell und unkompliziert" bei Ebay melden. Wie viele Firmen von diesem Angebot Gebrauch machen, will Fuest allerdings nicht verraten.

Käuferschutz bis 200 Euro

Auch die kleinen Anbieter und Käufer sieht sie geschützt. Jeder Ebayaner habe - bei einem Selbstbehalt von 25 Euro - Käuferschutz bis zu 200 Euro. Angenommen, Doris Schmidt hätte 200 Euro für eine fälschlicherweise als Original ausgezeichnete Jeans bezahlt, wären ihr von Ebay 175 Euro erstattet worden. Pech für Doris Schmidt, dass ihre Jeans so billig war.

Um nicht auf Fälscher reinzufallen, rät Maike Fuest Ebay-Kunden "einfach mal den gesunden Menschenverstand einzuschalten". Tiefpreise seien ein "Warnsignal". "Es gibt einfach keine neue Kelly-Bag für 400 Euro", sagt die Sprecherin. Das Original, benannt nach Fürstin Grace Kelly, kostet das Zehnfache. Während Fuest redet, werden gerade 530 "Kelly Bags" bei Ebay angeboten. Darunter auch welche, für einen Euro Startgebot.

Gesunder Menschenverstand hilft

"Natürlich war die Jeans verdächtig billig", sieht Doris Schmidt inzwischen kleinlaut ein. Deshalb ist auch zweifelhaft, ob eine Strafanzeige in ihrem Fall Erfolg gehabt hätte. Bei einem Betrug mit geringwertigen Sachen von unter 25 Euro stellt die Staatsanwaltschaft die Verfahren in der Regel sofort ein. Der Betrogene muss ausdrücklich einen Strafantrag stellen. Und selbst dann kann die Sache eingestellt werden - wegen Geringfügigkeit. Nur wenn ein verdächtiger Händler mehrere Jeans verkauft hat, wird die Staatsanwaltschaft unter Umständen aktiv.

Zuerst war Doris Schmidt die Lust an Ebay gründlich vergangen. Doch dann loggte sie sich wieder ein und entdeckte die dunkelrote Samtjacke von Strenesse, secondhand, 75 Euro. Einfach zu verlockend. Das Teil war übrigens echt. Und der Jeans-Verkäufer ist inzwischen nicht mehr bei Ebay gemeldet.